9
Aug
2008

Der Eskimo und das Hasenmädchen

...Es war einmal ein Eskimo. Der lebte in seinem Iglu und sagte sich eines schönen Tages, als er gerade mit seinem Hundeschlitten vom Fischen nach Hause fuhr: "Ach ich liebe diesen Schnee und diese Weiten, aber ich habe so eine Sehnsucht, ich möchte mal etwas anderes sehen." So fütterte er seine Tiere, packte seinen Fellrucksack und machte sich auf den Weg. Ohne einen konkreten Plan zu haben, stiefelte er los. Er wanderte und wanderte und mit jedem Schritt, den er machte, wurde ihm bewusster, was ihm fehlt, was ihn glücklicher machen könnte und mit diesem noch vagen Ziel vor Augen, ging er Richtung Süden. Strand wollte er sehen, den feinen Sand zwischen seinen Füßen spüren, die Wärme der Sonne auf seiner Haut und die lauen Winde, von denen er schon so viel gehört hatte. Noch nie hatte er seine Heimat verlassen und insgeheim wusste er, er würde nicht nur einen bestimmten Ort, von dem er in so vielen Nächten träumte, suchen, nein, er trug auch eine andere große Sehnsucht in sich. Er wusste nicht genau, was es für eine Sehnsucht war, aber er vermisste etwas. Auf seinem langen Weg gen Süden traf er auf die verschiedensten Menschen und Tiere und schloß Freundschaften. Jede Begegnung bereicherte ihn, er erfuhr Geschichten und frage auch jedes Mal nach diesem schönen Land, in welchem die Sonne immer scheint und in welchem man selten friert. Wunderbare Dinge erfuhr er, es sollte dort Bäume mit Früchten geben,Palmen so hoch wie ein Haus, Musik, so schön, dass sie einem zum Weinen brachte und natürlich Liebe. Viel Liebe. Denn dem Eskimo war klar: an einem Ort, der so wunderbar warm war, waren die Herzen der Menschen und Tiere auch warm. Während er also weiter seinen Weg bestritt, verspürte er einen großen Appetit. Weggefährten, die er traf, erzählten ihm von einem großen Wald, in welchem an einer besonderen Lichtung das frischeste Gras in dem sattesten Grün, das man sich nur vorstellen kann, wuchs. "Oh fein!", dachte der Eskimo. "Dieses Gras möchte ich finden, damit ich es auf mein Brot legen kann." So wanderte er weiter und nach einiger Zeit kam er an den besagten Wald. Der Eskimo staunte über die riesigen Bäume, die sich leicht im Wind wiegten und setze sich auf den weichen bemoosten Waldboden. Er schloss die Augen und lauschte den fremden Geräuschen der verschiedensten Tiere und spürte: "das ist ein guter Ort. Hier möchte ich eine Weile bleiben." Mit diesen Gedanken schlief er ein. Er erwachte durch das laute Knurren seines Magens und ihm fiel das satte Gras wieder ein und so machte er sich erneut auf den Weg, um es zu finden. Es dauerte nicht lang, da sah er es. Schon von weitem fiel ihm dieses besondere Grün auf und der unverwechselbare Geruch stieg ihm in die Nase. Doch was war das? An der Lichtung bewegte sich etwas... Grasbüschel bogen sich nach links und rechts und er hörte ein leises Knabbern und Schmatzen. Der Eskimo, gar nicht ängstlich, beugte sich über das Gras und sah ein kleines Häschen. "Hallo, Häschen!" rief der Eskimo in seiner freundlichen Art. Doch der Hase erschrak und machte einen großen Satz hinter einen Baumstumpf. "hab keine Angst, kleiner Hase, ich will dir nichts tun, bitte komm hervor." Der Hase legte die Ohren an und strecke vorsichtig das Näschen in die Luft und schnupperte... "was bist du?" flüsterte es ängstlich... "ich habe so etwas wie dich noch nie gesehen." "ich bin ein Eskimo. ich komme von weither, um das Land der Sonne und der Wärme zu finden. Und du, du bist ein kleiner Hase." "Ja," sagte der Hase, "das stimmt. Ich bin ein Hasenmädchen und von dem Land der Sonne habe ich schon viel gehört. Ich weiß, wo es ist und könnte es dir zeigen." Der Eskimo klatsche vor Freude in die Hände. "Das würdest du tun? Oh Hase, das wäre fantastisch." So kam der Hase hervor, immer noch etwas ängstlich, doch es dauerte nicht lang, da saßen der Eskimo und der Hase zusammen auf der Lichtung und aßen ihr Gras. Weil es langsam dämmerte, beschlossen der Eskimo und das Häschen, erst am nächsten Morgen mit der Wanderung zu beginnen. Der Eskimo machte ein Feuer und das Hasenmädchen setzte sich vorsichtig neben ihn. "Du.... Eskimo... ich schlafe niemals draußen, ich schlafe in meinem Bau...nur hast du da keinen Platz." Der Eskimo machte ein erstauntes Gesicht: "Aber warum verkriechst du dich denn in deinen Bau? Schau doch, wie schön es hier im Wald ist, wie beruhigend die Geräusche, das Abendlied der Eulen und das Heulen der Wölfe ist." "Nein Eskimo, ich habe furchtbare Angst im Dunkeln in der Nacht. Ich fürchte mich gar fürchterlich." Der Eskimo sah das Häschen lange an und nahm es vorsichtig in seine Hände. "Von nun an brauchst du keine Angst mehr haben, denn ich bin bei dir und beschütze dich in der Dunkelheit." So schliefen der Hase und der Eskimo aneinander gekuschelt ein und waren sehr glücklich, einander gefunden zu haben. Am nächsten Tag begannen sie mit ihrer gemeinsamen Wanderung. Sie erzählten sich gegenseitig von ihren Familien, ihren Freunden und ihren Erlebnissen in ihrer eigenen kleinen Welt und wenn der kleine Hase nicht mehr laufen konnte, nahm der Eskimo ihn auf den Arm. So wanderten sie viele Tage und schliefen viele Nächte aneinander gekuschelt ein. Doch eines Morgens, der Tag hatte noch nicht richtig begonnen, der Tau war noch nicht verdunstet und der Wald ruhte in Frieden, als der Eskimo von einem Geräusch geweckt wurde. Ein Zischen und Züngeln bereitete ihm Unbehagen und er erblickte eine Schlange, die sich vor ihrem Schlafplatz aufrichtete. "Schlange! Was willst du hier? Verschwinde und lass den Hasen weiterschlafen!" Doch die Schlange ließ sich nicht beirren und lächelte ihr gemeines Schlangelächeln. "Wasss macht ihr beide da?" "Wir schlafen! Das siehst du doch! Und nun scher dich fort!" Die Schlange aber zog einen engen Kreis um den Eskimo und den Hasen, der schläfrig aus dem Rucksack spähte und sich sehr erschrak. "Wisssst ihr denn nicht, dassss ein Hasssse und ein Essskimo nicht zussssammen ssssein dürfen? Ihr werdet euch ins Unglück sssstürzen, denkt an meine Worte!" Der Eskimo sprang auf und lief auf die Schlange zu, um sie zu packen, doch sie war zu schnell. "Verschwinde, du falsche Schlange! Wer sagt, dass ein Eskimo und ein Hase nicht zusammen sein können? Niemand sagt das, und jetzt scher dich zum Teufel!" Die Schlange kicherte in sich hinein und zischte nur noch ein "Ihr werdet schon ssssehen..." Eskimo beugte sich hinunter zum zitternden Hasen, der fürchterliche Angst zu haben schien und streichelte sein weiches Fell. "Hab keine Angst, mein kleiner Hase, die Schlange kann dir nichts tun." "Ich habe keine Angst vor der Schlange! Ich habe Angst davor, dass sie Recht behalten könnte." Von diesem Moment an war die Selbstverständlichkeit der Liebe und des Vertrauens zwischen dem Hasen und dem Eskimo nicht mehr da. Beide grübelten heimlich über das Gesagte und beide wurden immer unsicherer. Sie lachten kaum noch miteinander und hüpften auch nicht mehr gemeinsam. Jeder ging in seinem eigenen Tempo und keiner von beiden konnte diese schrecklichen Gedanken abschütteln. So kam es, dass der Hase gemein zum Eskimo wurde. Das Hasenmädchen liebte den Eskimo in ihrem kleinen Hasenherzen, doch ihre große Angst, dass er einfach nicht zu ihr passte, machte sie so wütend und statt mit ihm zu sprechen, schlug sie immer größere Haken und hängte ihn ab. Der Eskimo war sehr traurig, eines Abends sprach er mit dem Hasen. "Hase, ich bin so nicht glücklich wie es ist. Es hat sich etwas verändert. Du schlägst so große Haken und oft isst du meine Nüsse und mein Gras und sagst Dinge, die ich nicht verstehe, die aber in meinem Herzen wehtun. Der Hase fing an zu weinen, weil er das ja gar nicht wollte, aber er konnte auch nichts dagegen tun. So kam es, dass sie entschieden, den Weg ins Sonnenland getrennt zu gehen. Weil ein Eskimo nicht umsonst aus einem kalten Land kommt, konnte er sein Herz vereisen und so versuchte er, nicht mehr an den Hasen zu denken. "Was für ein dummer kleiner Hase das Hasenmädchen ist. Ich bin froh, dass ich sie los bin, denn mit ihr wäre der Weg sowieso viel zu beschwerlich gewesen." Doch der Hase, oh der Hase, der weinte und weinte und hoppelte in die falsche Richtung und fror nachts, weil sie sich ja an das Schlafen im Freien mit dem Eskimo so gewöhnt hatte. Doch nun war niemand mehr da, der sie beschützte und so versteckte sich der kleine Hase unter Blättern und träumte jede Nacht zitternd von unheimlichen Monstern und anderen Hasen, die sie jagten. Sie vermisste ihre Mama und ihren Papahasen und fühlte sich schrecklich einsam. So gingen die Tage ins Land, der Eskimo wanderte und wanderte, traf wieder neue Weggefährten, doch das kleine Hasenmädchen ging ihm niemals aus dem Kopf. Auch der Hase versuchte mit aller Kraft, den Weg weiter zu bestreiten, doch das kleine Hasenherz schmerzte so sehr. Nach einer endlosen Wanderung kam der Eskimo im Sonnenland an. Er traute seinen Augen kaum, als er den Strand erblickte. Überall Menschen, nur mit ihrer Haut und einer Hose, keine Fellroben, keine Stiefel und keine Kapuzen und Handschuhe. "Das muss die Freiheit sein!" dachte er und sprang sofort ins warme Meer. Abends trank und tanzte er mit seinen neuen Freunden und er wusste, er würde dieses Paradies niemals mehr verlassen wollen. Doch immer, kurz vorm Einschlafen, wanderten seine Gedanken zu dem kleinen Hasen. "Wie es meinem Hasenmädchen wohl geht? Was sie wohl macht? Ach wie sehr wünsche ich mir, sie noch einmal zu sehen, in ihre kleinen Augen zu schauen und über ihr weiches Fell zu streicheln." Bei diesem Gedanken zog eine Sternschnuppe über den Himmel und der Eskimo schloss seine Augen und wünschte sich etwas. So fest er nur konnte, mit zugekniffenen Augen, weil er sich so konzentrierte, um auch nichts falsches zu wünschen. Als er am nächsten Morgen aufwachte, saß das Hasenmädchen neben ihm. Ganz verschlafen murmelte der Eskimo: "oh kleiner Hase, wie hast du mich gefunden?" Und der Hase sagte: "Eskimo, mein Eskimo, ich habe auf mein Herz gehört und das hat mir den Weg gezeigt. Ich hatte mich verlaufen, ich war völlig verirrt und verwirrt, doch mein Herz schrie so laut und nun weiß ich so vieles und möchte nie mehr gemein zu dir sein." Hellwach war der Eskimo und drückte und küsste den Hasen. "Oh Hase, mein Hase, ich bin so froh, dass du mich gefunden hast! Aber.. wie soll es denn nun bloss weitergehen mit uns? Du weißt doch, was die Schlange gesagt hat. Ein Eskimo und ein Hase können nicht zusammen sein." Der Hase kuschelte sich an ihren Eskimo und sagte: "du kleiner dummer Eskimo! Warum hören wir denn auf das, was die Schlange sagt und nicht auf das, was unser Herz spricht? Weißt du denn nicht, dass ich ein Hasenmädchen aus der Familie Schneehase bin und sehr gut mit dir im Schnee, wo es kalt ist, leben kann? Denn die Sonne, die wir hier zusammen gefunden haben, die wird immer unser Herz erwärmen und uns alles möglich machen." Der Eskimo strahlte über sein ganzes sommersprossiges Gesicht und wirbelte den kleinen Hasen in die Luft. "Komm, lass uns gehen. Nach Hause. In unser Iglu." Und so hüpften die beiden den langen Weg zurück und die Schlange, die sich ihnen wieder in den Weg stellte, lachten sie einfach aus. Denn sie trugen beide die Sonne in ihren Herzen. Für immer.

Ende.
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