4
Apr
2009

So ist das also.

Es ist schön, wenn einem Tatsachen wie Schuppen von den Augen fallen. Und es ist weniger schön, wenn man für erkannte Probleme niemanden mehr zur Rechenschaft ziehen kann. Weder seinen Therapeuten, noch sich selbst. Ich habe nun den Ursprung meiner mangelhaften Verhaltensmuster in Beziehungen gefunden und möchte jemanden dafür verantwortlich machen. Walt Disney hat mir unrealistische Vorstellungen von Liebe vermittelt!

Lieber Herr Disney,

ich weiß, dass Sie bereits seit längerer Zeit nicht mehr unter den Lebenden weilen, jedenfalls nicht körperlich. Nichtsdestotrotz möchte ich versuchen, Sie zu erreichen. Die Seance mit dem Witchboard hat ja leider nicht geklappt, deshalb versuche ich es nun auf konservativem Wege. Geschätzter Herr Disney, Sie sind ein Künstler, ein Genie, ein Retter. Wie viele Kinder haben sich mit ihren Filmen in eine schönere, bessere Fantasiewelt flüchten können und wie viele Popstars haben ihre Karriere Ihnen zu verdanken, weil sie durch Cinderellas „bippedeeboppedeeboosh“ oder Aristocats „Scales and Arpeggios“ die Liebe zur Musik entdeckten. Aber haben Sie auch jemals an die Erwachsenen gedacht, die aus diesen Kindern werden? An mich zum Beispiel? So erzählt Ihr Film „Die Schöne und das Biest“ davon, dass man hässliche, griesgrämige und kalte Monster mit Liebe und Geduld in wunderschöne Prinzen mit Sanftmut und Fröhlichkeit verwandeln kann. Wieso bin ich dann mit meiner Geduld am Ende und mein Freund ist immer noch das Scheusal, dass er von Anfang an war? Was wollten Sie damit bezwecken, die Geschichte der Meerjungfrau Arielle einfach umzuschreiben? In Ihrem Film gibt sie alles auf, natürlich wieder für einen Mann, für den vermeintlichen Traumprinzen, sie lernt laufen und auch das klappt ohne Probleme und ein Happy End gibt es auch. Wissen Sie denn nicht, dass das wahre Märchen (das ist ein Oxymoron) ganz anders endet? Die arme Meerjungfrau hat blutige Füße vom vielen Laufen an Land und wird am Ende zu einem Meer aus Blüten, weil ihr Liebster sich in eine andere verliebt und sie sich selbst nur retten kann, wenn sie ihn ersticht! So sieht die Realität aus, lieber Herr Disney. Sie suggerieren mit Ihrem Film „Cap und Capper“ (einer meiner Lieblingsfilme im Übrigen), dass zwei völlig unterschiedliche Wesen, wie ein Fuchs und ein Hund, friedlich zusammen leben können. Von der Natur ist vorgegeben, dass der Hund den Fuchs jagt und mit einem Biss in die Kehle tötet. Das ist der Jagdinstinkt. Normalerweise weiß man das auch und hält sich von Jagdhunden fern, jedenfalls wenn man ein Fuchs oder ein Häschen ist. Aber nicht, wenn man Ihre Filme gesehen hat, nein, dann nicht. Dann hoppelt man fröhlich, Haken schlagend dem Untergang entgegen und ist überrascht, dass der Hund gar nicht mit einem spielen oder friedlich leben will, oh nein, der Hund will töten! Lieber Herr Disney, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ihre Filme sind großartig, künstlerisch. Aber war Ihnen denn nicht klar, dass Sie so was wie der Messias aller Beziehungen werden würden? Würden Sie noch leben, würde ich darum bitten, realistischere Kinderfilme zu produzieren. Warum soll Cinderella der Schuh nicht einfach zu klein sein und sie für immer Putzfrau bleiben und warum soll das dumme Schneewittchen, das nicht auf die Zwerge hört und ständig Sachen von der Fremden annimmt und sich dann vergiftet, nicht einfach sterben? Warum soll das Biest nicht einfach Biest bleiben und all die verzauberten Tassen und Kerzenhalter und Standuhren und Teekannen bekommen einen Job in einem Zirkus, das Mädchen heiratet den Aufschneider aus ihrem Dorf und das Biest stirbt verhärmt und allein im zerfallenden Schloss? In jedem Ihrer Filme findet das Mädchen ihren Traummann und sie werden glücklich. Warum kann sie am Ende nicht einfach mal allein sein, mit ihren Freundinnen eine Riesenparty im Schloss oder im Cottage im Wald feiern, danach springen sie nackt in einen See und freuen sich, dass sie so viel Spaß haben. Ohne Prinzen, ohne Ritter und ohne Rächer der Witwen und Waisen.

Lieber Herr Disney, ich liebte Ihre Filme. Und liebe sie auch heute noch. Wenn ich nun auch mit einem kritischeren Auge zuschaue. Ich hoffe, es geht Ihnen gut, dort wo Sie sind und nehmen mir mein Briefchen nicht übel. Machen Sie sich keine Sorgen, meine Bewerbungsunterlagen sind bereits in Ihrem Unternehmen eingegangen und ich werde versuchen, den Schaden, den Sie angerichtet haben, mit neuen Kinderfilmen zu begrenzen.

Die liebsten Grüße ins Jenseits,

Ihre Frau Settergren
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