Machtspiele am Morgen
Morgenstund hat Gold im Mund... Ganz besonders viel Gold konnte ich in dem kleinen, verrunzelten Mund einer geschätzten 85 Jährigen sehen, die diesen wunderschönen Sommermorgen im Supermarkt meines Vertrauens in eine Freak-Show verwandelte.
Trotz meiner gestrigen All-by-myself-Rotwein-Session in meiner Küche, natürlich nicht ohne passende musikalische Untermalung, bin ich überraschend fit und gut gelaunt. Den Brechreiz beim Zähneputzen unter der Dusche habe ich relativ schnell im Griff und auch der Schwindelanfall beim Schuhe anziehen kann mich nicht aus dem Tritt bringen. Beschwingt, mit einem Liedchen auf den Lippen, duftend und strahlend, beglücke ich den Supermarkt mit meiner Anwesenheit. Morgens einkaufen gehen soll super sein, keine Schlangen, alles ist noch frisch und die Kassiererinnen gut gelaunt. Ich latsche durch den Laden, es stimmt. Er ist leer, das Obst sieht gut aus und die Kassiererinnen unterhalten sich von Kasse zu Kasse über die heutige Grey's Anatomy Folge. "Stirbt Izzy? Glaubst du, dass die abkratzt?" "Quatsch, die kratzt doch nicht ab, ey. Die ist doch da mit die Hauptfigur..." Ah ja.
Ich streife durch die Gänge bis mein Wagen gut gefüllt ist und merke, dass ich die Tomaten vergessen habe. Also hopp hopp, zurück zur Obstabteilung. Den Wagen lasse ich eben stehen, wird schon keiner stehlen. Gesagt getan. Gekonnt prüfe ich die Festigkeit der Tomaten und stelle sicher, dass auch ja keine Druckstellen auf der schönen, perfekt glänzenden Haut vorhanden sind. Ich hasse Druckstellen auf Gemüse und Obst. Ich habe da eine ausgeprägte Phobie, ekelhaft, wenn Menschen einen angeditschten Pfirsich oder Apfel verspeisen. Uh! Mit den perfekten Tomaten im Arm steuere ich zielstrebig auf den Gang zu, in welchem mein braver Einkaufswagen auf mich wartet. Ich will ihn gerade anschieben, da kreischt eine hochfrequente Zeter-Stimme im oberen Drehzahlbereich: "DAS IST MEIN WAGEN!"
Ich schnelle herum, zutiefst erschrocken über die Stimme aus der Gruft und sage gar nichts. Ich glotze nur. Starre diese kleine, hunzelige Person in ihrem Hauskittel an. Sie trägt hautfarbene Strümpfe, der linke schlackert ausgeleiert über ihrem dürren Knöchel, und ihre wenigen weißen Haare wirken wie Zuckerwatte mit Spinnenweben. "Das ist mein Wagen" wiederholt Zeter und Mordio-Oma und um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, klammert sie sich mit ihren Gichthändchen an dem Griff fest. Sie kann gerade über den Wagen schauen und wirkt wie ein kleines Kind, das seine Kinderkarre schiebt. Okay, das könnte schwierig werden, merke ich, und sage sanft: "Gute Frau, das ist nicht ihr Wagen, schauen sie doch mal hinein, sie haben doch nicht all diese Dinge gekauft." Oma zieht eine Flunsch, hebt die Augenbrauen und zickt: "Ich habe diese Sachen natürlich noch nicht gekauft, ich stehe jawohl nicht an der Kasse, oder tue ich das?"
1:0 für sie. Vielleicht war sie in ihrem vorigen Leben, als sie noch nicht völlig derangiert in schönen Supermärkten ihr Unwesen trieb, ein qualifizierter Lehrkörper.Gut, denke ich. Sie ist nicht völlig bekloppt, dann sollte ich sie auch davon überzeugen können, dass dies mein Einkaufswagen ist. Ich schaue auf die Uhr, verdammt, jetzt muss ich aber wirklich mal los, durch diese Tomaten-Trödelei habe ich Zeit verloren, Zeit, die ich unmöglich mit dieser lächerlichen Situation verschwenden kann. "So, sie geben mir jetzt meinen Wagen zurück und wir suchen zusammen den ihren." Sie starrt mich an, fletscht die Zähne, zeigt ihr Gold. "Junge Dame, ich wiederhole mich nicht, ich hasse es, mich zu wiederholen!" Sie schreit. Niemand sieht mich. Ich reiße ihr den Wagen aus den Klauen und entferne mich zügig. Das war gelinde gesagt, keine gute Idee.
Wagen-Omi zetert und schreit was das Zeug hält. "Stop! Stop! Mein Einkaufswagen, mein Einkaufswagen!" Ihre verzweifelten Rufe hallen durch den leeren Supermarkt. Ich eile Richtung Kasse, will gerade all meine Einkäufe hektisch aufs Band befördern, da steht sie neben mir, mit Verstärkung. Ihr kleiner Körper zittert vor Aufregung und Wut . Ich will mich erklären, will sofort sagen, dass diese verrückte Alte meinen Wagen geklaut hat und ich jetzt wirklich zur Arbeit muss, da fängt der Mitarbeiter an zu sprechen: "Frau Richter, schauen sie doch, das ist nicht ihr Wagen, sie können doch nicht immer wieder unsere Kunden verunsichern und ihren Wagen vertüddeln." Eine andere Mitarbeiterin kommt dazu und bringt den Oma-Einkaufswagen. Ich werfe einen kurzen Blick hinein... Diabetiker-Kekse, H-Milch, Korn, Käse und Salzstangen. Pah, ich mag überhaupt keine H-Milch. Retter in der Not spricht wieder: "Sehen Sie, hier ist ihr Wagen. Und jetzt sehen sie auch, dass die Einkäufe in dem anderen Wagen ganz sicher nicht ihre sind, oder?" Ich schiebe unauffällig und beschämt meinen Wagen zur Seite.
Das sind meine Einkäufe, das ist meine Intimsphäre, schlimm genug, dass ich die Tampons und Kondome aus Laufband legen muss. Besonders schlimm ist es, wenn so ein schmieriger IT-Administrator mit Halbglatze hinter mir steht und diesen widerlichen, wissenden Blick drauf hat "Na Kleine, heute noch bumsen?" Das sagt der Blick, ich hasse ihn. Zum Glück ist es heute morgen nur die Oma und die zwei Mitarbeiter, die tatsächlich so lang an der Kasse stehen bleiben, bis ich zahle. Ich schaue Oma noch ein letztes Mal an, nicht sicher, ob ich eine Entschuldigung erwarte. Sie zieht die Nase hoch, schüttelt ihren kleinen, morschen Kopf und murmelt: "Unverschämtheit..." Die Kassiererin lacht. "Das ist Frau Richter. Die ist jeden Mittwochmorgen hier, die kommt vom Altersheim gegenüber. So ist das halt mit den alten Leuten." Ja, so ist das halt. Wenn ich in gefühlten 120 Jahren nur halb soviel Energie und Stimme habe, wie Frau Richter, wäre ich froh. Und auf die Korn-Zeiten freue ich mich auch schon.
Trotz meiner gestrigen All-by-myself-Rotwein-Session in meiner Küche, natürlich nicht ohne passende musikalische Untermalung, bin ich überraschend fit und gut gelaunt. Den Brechreiz beim Zähneputzen unter der Dusche habe ich relativ schnell im Griff und auch der Schwindelanfall beim Schuhe anziehen kann mich nicht aus dem Tritt bringen. Beschwingt, mit einem Liedchen auf den Lippen, duftend und strahlend, beglücke ich den Supermarkt mit meiner Anwesenheit. Morgens einkaufen gehen soll super sein, keine Schlangen, alles ist noch frisch und die Kassiererinnen gut gelaunt. Ich latsche durch den Laden, es stimmt. Er ist leer, das Obst sieht gut aus und die Kassiererinnen unterhalten sich von Kasse zu Kasse über die heutige Grey's Anatomy Folge. "Stirbt Izzy? Glaubst du, dass die abkratzt?" "Quatsch, die kratzt doch nicht ab, ey. Die ist doch da mit die Hauptfigur..." Ah ja.
Ich streife durch die Gänge bis mein Wagen gut gefüllt ist und merke, dass ich die Tomaten vergessen habe. Also hopp hopp, zurück zur Obstabteilung. Den Wagen lasse ich eben stehen, wird schon keiner stehlen. Gesagt getan. Gekonnt prüfe ich die Festigkeit der Tomaten und stelle sicher, dass auch ja keine Druckstellen auf der schönen, perfekt glänzenden Haut vorhanden sind. Ich hasse Druckstellen auf Gemüse und Obst. Ich habe da eine ausgeprägte Phobie, ekelhaft, wenn Menschen einen angeditschten Pfirsich oder Apfel verspeisen. Uh! Mit den perfekten Tomaten im Arm steuere ich zielstrebig auf den Gang zu, in welchem mein braver Einkaufswagen auf mich wartet. Ich will ihn gerade anschieben, da kreischt eine hochfrequente Zeter-Stimme im oberen Drehzahlbereich: "DAS IST MEIN WAGEN!"
Ich schnelle herum, zutiefst erschrocken über die Stimme aus der Gruft und sage gar nichts. Ich glotze nur. Starre diese kleine, hunzelige Person in ihrem Hauskittel an. Sie trägt hautfarbene Strümpfe, der linke schlackert ausgeleiert über ihrem dürren Knöchel, und ihre wenigen weißen Haare wirken wie Zuckerwatte mit Spinnenweben. "Das ist mein Wagen" wiederholt Zeter und Mordio-Oma und um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, klammert sie sich mit ihren Gichthändchen an dem Griff fest. Sie kann gerade über den Wagen schauen und wirkt wie ein kleines Kind, das seine Kinderkarre schiebt. Okay, das könnte schwierig werden, merke ich, und sage sanft: "Gute Frau, das ist nicht ihr Wagen, schauen sie doch mal hinein, sie haben doch nicht all diese Dinge gekauft." Oma zieht eine Flunsch, hebt die Augenbrauen und zickt: "Ich habe diese Sachen natürlich noch nicht gekauft, ich stehe jawohl nicht an der Kasse, oder tue ich das?"
1:0 für sie. Vielleicht war sie in ihrem vorigen Leben, als sie noch nicht völlig derangiert in schönen Supermärkten ihr Unwesen trieb, ein qualifizierter Lehrkörper.Gut, denke ich. Sie ist nicht völlig bekloppt, dann sollte ich sie auch davon überzeugen können, dass dies mein Einkaufswagen ist. Ich schaue auf die Uhr, verdammt, jetzt muss ich aber wirklich mal los, durch diese Tomaten-Trödelei habe ich Zeit verloren, Zeit, die ich unmöglich mit dieser lächerlichen Situation verschwenden kann. "So, sie geben mir jetzt meinen Wagen zurück und wir suchen zusammen den ihren." Sie starrt mich an, fletscht die Zähne, zeigt ihr Gold. "Junge Dame, ich wiederhole mich nicht, ich hasse es, mich zu wiederholen!" Sie schreit. Niemand sieht mich. Ich reiße ihr den Wagen aus den Klauen und entferne mich zügig. Das war gelinde gesagt, keine gute Idee.
Wagen-Omi zetert und schreit was das Zeug hält. "Stop! Stop! Mein Einkaufswagen, mein Einkaufswagen!" Ihre verzweifelten Rufe hallen durch den leeren Supermarkt. Ich eile Richtung Kasse, will gerade all meine Einkäufe hektisch aufs Band befördern, da steht sie neben mir, mit Verstärkung. Ihr kleiner Körper zittert vor Aufregung und Wut . Ich will mich erklären, will sofort sagen, dass diese verrückte Alte meinen Wagen geklaut hat und ich jetzt wirklich zur Arbeit muss, da fängt der Mitarbeiter an zu sprechen: "Frau Richter, schauen sie doch, das ist nicht ihr Wagen, sie können doch nicht immer wieder unsere Kunden verunsichern und ihren Wagen vertüddeln." Eine andere Mitarbeiterin kommt dazu und bringt den Oma-Einkaufswagen. Ich werfe einen kurzen Blick hinein... Diabetiker-Kekse, H-Milch, Korn, Käse und Salzstangen. Pah, ich mag überhaupt keine H-Milch. Retter in der Not spricht wieder: "Sehen Sie, hier ist ihr Wagen. Und jetzt sehen sie auch, dass die Einkäufe in dem anderen Wagen ganz sicher nicht ihre sind, oder?" Ich schiebe unauffällig und beschämt meinen Wagen zur Seite.
Das sind meine Einkäufe, das ist meine Intimsphäre, schlimm genug, dass ich die Tampons und Kondome aus Laufband legen muss. Besonders schlimm ist es, wenn so ein schmieriger IT-Administrator mit Halbglatze hinter mir steht und diesen widerlichen, wissenden Blick drauf hat "Na Kleine, heute noch bumsen?" Das sagt der Blick, ich hasse ihn. Zum Glück ist es heute morgen nur die Oma und die zwei Mitarbeiter, die tatsächlich so lang an der Kasse stehen bleiben, bis ich zahle. Ich schaue Oma noch ein letztes Mal an, nicht sicher, ob ich eine Entschuldigung erwarte. Sie zieht die Nase hoch, schüttelt ihren kleinen, morschen Kopf und murmelt: "Unverschämtheit..." Die Kassiererin lacht. "Das ist Frau Richter. Die ist jeden Mittwochmorgen hier, die kommt vom Altersheim gegenüber. So ist das halt mit den alten Leuten." Ja, so ist das halt. Wenn ich in gefühlten 120 Jahren nur halb soviel Energie und Stimme habe, wie Frau Richter, wäre ich froh. Und auf die Korn-Zeiten freue ich mich auch schon.
Frau Settergren - 5. Aug, 13:00