10
Feb
2010

Von Hippiemädchen, Strahlefamilien und Flirtportalen

Wenn du ein kleines Mädchen bist und mit Hippie-Eltern aufwächst, hast du nicht nur ständig Blumen im Haar, sondern auch den Wunsch nach Normalität im Bauch. Irgendwann bist du 3 oder 4 Jahre alt, gehst in den Kindergarten und merkst, dass die erwachsenen Erzieherinnen manchmal komische Fragen stellen. "Sind deine Eltern nicht verheiratet?", "Deine Mama war ganz schön jung, als sie dich bekam, oder?" und "Wer hat dir denn das T-Shirt mit dem aufgerichteten Mittelfinger angezogen?" Irgendwann wird dir klar, dass deine Familie eben nicht normal ist, du fängst an, dich manchmal zu schämen, dafür dass dein Papa keine Seglerschuhe trägt und kurz vor der Kindergartenpforte noch schnell die Zigarette wegschniekt und auch dafür, dass deine Mama kein Tennis spielt und beim Kochen keine schöne Schürze mit blaugetönten Koggen trägt. Dein Wunsch nach Normalität wird in dem Alter so groß wie dein Wunsch in den Dreissigern, etwas einzigartiges darzustellen. Alles was dir damals das Leben schwer machte, wird jetzt als hip angesehen. Und meistens von den mittlerweile erwachsenen Kindern der Eltern, die genau so waren wie eben beschrieben. Da du das alles aber erst viele Jahre später weißt, versuchst du, dir in diesem zarten Alter deine heile Welt zu basteln. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jedes Pärchen, das dich freudestrahlend aus der Anzeige für Versicherungen anlächelt, wird ausgeschnitten und in ein Buch geklebt. Bevorzugt werden hier besonders die Sparkassen-Eltern. Gern auch mit pastellfarbenen Pulli locker über die Schulter geworfen mit zwei süßen Kindern, die gekämmte Haare und keine angetrockneten Essensreste um den Mund hatten, in welchem ein wenig zu lang die vorderen Schneidezähne fehlten.

Irgendwann entscheidest du dich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, meldest dich beim Hockey an, gehst zum Ballett und es ist dir egal, dass dich diese Termine nicht mehr frei sein lassen. Du willst gar nicht frei sein, du willst normal sein. Doch du bist du und auch die Mitgliedschaft im Spießer-Sportverein lässt dein ständig verdrecktes BMX-Rad nicht verschwinden und rosafarbene Polohemden oder Oilily-Uniformen willst du trotzdem nicht tragen. Du fährst mit dem Skateboard zum Ballett und allein das reicht aus, um von der russischen Lehrerin nicht gemocht zu werden und immer am Ende der Stange zu tanzen. Das alles hast du überwunden, es sind keine bleibenden Schäden geblieben und eben genau wegen der Erziehung deiner Eltern bist du mittlerweile das Mädchen, das all die Graumänner, die es leichter hatten in der Kindheit, immer sein wollten. Das Einzige, das du vielleicht als Kind schon geahnt hast, ist, dass Beziehungen leichter sind, wenn du dich an die Vorgabe der Sparkassen und Versicherungen hältst. Ein lieber Mann mit einem geregelten Einkommen, einer, dessen Mutter ihm früh beigebracht hat, wie man Frauen behandelt und dass eine eigene Familie das Wichtigste im Leben ist. Einer, der einen Lebensplan hat, von dem er sich nicht abbringen lässt. Studium, Job, Frau, Heirat, Kinder. Zack, zack, zack. Einfach wäre es mit so einem. Sicher. Entspannt wäre es. Sicher. Sicher wäre es. Sicher.

Wieso verliebst du dich dann immer in die, die im Sportunterricht beim Tiptoptiptop als letztes auf der Bank sitzen bleiben? Nicht, weil sie nicht gut sind, sondern weil sie einfach zu unzuverlässig sind, zu oft träumen oder zu risikofreudig spielen, so dass die Mannschaft geschwächt wird und es am Ende ausbaden muss. Bekam der kleine Träumer von den Klassenkameraden am Ende des Spiels im Vorbeigehen Schläge auf den Hinterkopf, hast du seine Hand genommen. Wurde der Rebell von der Lehrerin deswegen ausgeschimpft, hast du einen Zettel mit "Du bist der Tollste!" geschrieben. Genau die sind es dann später auch, die es dir im Erwachsenenalter antun. Nur leider, leider!, ist all das Anbetungswürdige nicht mehr altersgerecht. Wir sind eben keine Kinder mehr, wir tragen sie in uns, zum Glück, aber es muss trotzdem irgendwie im Leben Schritte nach vorn gehen. Warum verliebst du dich also in die Stehenbleiber? In die, die mit 36 Jahren irgendwelche Blockaden haben und verträumt auf die große Liebe warten. Die große Liebe ist hier dieses Walt-Disney-Gefühl, diese Schmetterlinge im Bauch-Nummer, die für immer bleiben muss. Genau die sind es dann auch, die mit 36 Jahren ernsthafte Entscheidungsschwierigkeiten haben und nicht wissen was sie wollen. Und dabei aber davon überzeugt sind, dass sich das schon irgendwie löst. Mit der Zeit. Zeit. Etwas, dass diese Menschen nur eigentlich gar nicht haben. Sie werden älter, sehen es aber selbst nicht. Der Blick in den Spiegel sieht immer noch den hippen 32 jährigen mit dem smarten Lächeln. Dass die Falten um die müden Augen nicht mehr zu übersehen sind, die Haltung schlechter ist und die kleine Plauze das Sixpack ersetzt, sieht nur die Außenwelt. Auch der ich-bin-Künstler-oder-Fotograf-Schal ist mittlerweile völlig aus der Mode und während die Freunde heiraten und Kinder bekommen, hofft der übrig gebliebene Rest immer noch auf die große Liebe, die ihnen vermutlich in der Vergangenheit bereits über den Weg lief, die man aber in diesem Lebensabschnitt schlicht und ergreifend für verfrüht und für langweilig hielt. Statt auf der Bank für Verstossene sitzen zu bleiben und mal nachzudenken, scharen sie sich zusammen und gehen am Wochenende immer noch feiern und wundern sich, dass jede zweite Veranstaltung sich anfühlt wie eine Abifete. Nur ist man nicht mehr Schüler, sondern mittlerweile Lehrer. In ganz üblen Fällen sogar Direktor. Man versucht, bei einer 22 jährigen zu landen, die es irre cool findet, von einem richtigen Mann angequatscht zu werden und will eigentlich nur ihre Freundinnen beeindrucken und den Jungen eifersüchtig machen, den sie wirklich liebt.

Traurig sitzen sie dann im Taxi, knutschende Pärchen in anderen Autos beobachtend. Im Bett fühlen sie sich einsam und denken an die große Liebe, die sie mit 18 hatten. Ach, hätte ich sie doch jetzt noch in meinem Leben. Tja. Hat er aber nicht. Sie ist weg, und das nicht erst seit gestern, sondern seit tausend Jahren. Sie ist vermutlich verheiratet, bestimmt aber in einer funktionierenden Beziehung, während Cool McCool leider überhaupt nichts zwischenmenschliches auf die Reihe bekommt. Wird er gefragt, wann er das letzte Mal verliebt war, sagt er: "Hm... das war so vor 2.5 Jahren, da hatte ich für eine Woche so ein Model, die hat auch bei mir gewohnt und mir ins Bett gekotzt. Aber in die war ich wirklich verliebt." Beeindruckend. Das Problem ist, dass diese Menschen nicht gerettet werden können. Deshalb ist es unpraktisch, wenn man sich in sie verliebt. Man kramt genau dann das alte Buch mit der ausgeschnittenen Strahlefamilie hervor und fragt sich, wie dieser Mensch jemals in diese Szenerie hineinpassen soll. Denn du bist kein Model und du kotzt auch nicht ins Bett. Du bist ein etwas zu überdrehtes Hippiemädchen mit einem gesunden Hang zum Normalen, das ebenfalls auf die große Liebe wartet. Aber dabei weißt du, dass diese nichts mit Lepidopteras in den Gedärmen zu tun hat, sondern mit dem beruhigenden Gefühl, zu Hause zu sein. Morgendliche Küsse mit Mundgeruch bei dieser einen Person nicht ekelig zu finden und den Fuß im Bett rüber zu schieben.

Und weil deine Freundinnen das wissen und davon überzeugt sind, dass es einen passenden Hippiejungen geben muss da draußen, haben sie dir netterweise ein Profil auf einem Flirtportal angelegt und schon mal vorsortiert. Während du dich nun mit einem heißen Tee den Aspiranten widmest und selbst kaum glauben kannst, was du da tust, freust du dich gleichzeitig darüber, dass die große Liebe passieren wird. Sie wird sie wird sie wird. Vielleicht nicht nächste Woche, vielleicht nicht nächsten Monat und ganz sicher nicht heute. Aber das macht nichts. Du bist glücklich. Du schaust dir noch mal deine Bastelei aus Kindertagen an und durch die Risse, die Eselsohren, das Verblassen der Farbe und den frischen Teetassenabdruck wirkt das Ganze nicht mehr so steril-perfekt und aus irgendeinem Grund freut dich das.
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