15
Feb
2010

Langfristige Liebe und Aldi-Nahrung

Wenn du dich eine sehr lange Zeit von Aldi-Eiersalat und Toastbrot ernährst, findest du das irgendwann ganz lecker. Ravioli schmecken dir auch und du vergisst all die früheren Orgasmen, die deine Geschmacksnerven betrafen. Du vergisst sie einfach. Ausradiert, nie geschehen. Doch irgendwann, irgendwo, serviert dir jemand das zarteste, perfekteste Stück Kobe-Rindfleisch und du wirst wach. Es gibt noch eine Creme Brulee als Nachtisch und du fragst dich, wie du dich die letzten Jahre so kümmerlich ernähren konntest. Und da Liebe durch den Magen geht, kann man das 1:1 übertragen. Du kommst aus einer Beziehung, die, sagen wir mal, irgendwo zwischen Lidl und Aldi angesiedelt ist. Auch wenn du nicht richtig glücklich warst, war es okay für dich, nicht den teuren Hohes C zu trinken, sondern den Rio D'oro. Es war in Ordnung, immer die Billigmarken im Kühlschrank zu haben, denn das Einzige, das man bei den teuren Produkten mit bezahlt, sind ja die Verpackungen. Du hast geliebt, also hat es geschmeckt. Dass du aber die ganze Zeit in einem Dornröschenschlaf schlummertest, dass du die ganze Zeit unter deinen Möglichkeiten gespeist hast, war dir, gefangen in den verwirrenden Abgründen der Gefühlswelt, nicht bewusst.

Und dann kommt da ein Typ, der dir nicht nur zuhört, sondern dir auch noch ein Feedback gibt, dir sagt, wie er dich sieht, wie er dich hört und was du alles bist und es fühlt sich an, als würden 127 Wecker zur gleichen Zeit ihren nervtötenden, aber wachmachenden Schepperton loslassen. Aufwachen, aufwachen, aufwachen!!! Du kannst es kaum glauben, kannst nicht fassen, dass du all die Zeit mit Jemandem verbracht hast, der E-Mails, in welchen nicht nur Worte standen sondern Herztöne klopften, und Briefe, geschrieben mit mehr Tränen als Tinte, zu oft unbeantwortet ließ. Als wären sie nie geschrieben worden, als hätten sie keinerlei Bedeutung. Der sich so sehr dagegen wehrte, dich an deine Hand zu nehmen, wie kleine Kinder gegen Impfungen. Für den es stets eine Verpflichtung war, dich zu treffen und kein Ereignis, auf das er sich tagelang freute. Kein Bumerang, der zurück kam, kein Spiel, das entstand: malst du mir ein Bild, bemale ich dir die Wand unter der Brücke in der Schanze. Machst du mir ein Tape, mache ich dir eine Platte. Erwähnst du einen Künstler, bringe ich ihn dir ins Wohnzimmer. Es gibt sie, diese Menschen, die dir das Gefühl geben, das alles möglich ist. Als gehöre dir die Welt. Als würdest du sagen: Jetzt möchte ich Seifenblasen und weiße Rosen sehen und er zaubert sie aus seiner Jackentasche. Alles was du willst. Und nicht mehr "alles was du willst, aber erst nach allem was ich will".

Und genauso gibt es auch die Menschen, die eine Beziehung als schön empfinden, nur weil man sich nicht streitet, weil alles so einfach ist. Menschen, die gar nicht verstehen, dass Streit der Austausch von Meinungen bedeutet, dass auch streiten eine Kunst ist. Dass es einen immer weiter zusammen bringt, wenn man sich vertragen hat, so eng, dass nichts mehr dazwischen passt. Frei nach dem Motto: mir geht's gut, ich bin gesund und meine Frau hat Arbeit. Es ist nur natürlich, dass diese friedlichen, aber einfachen Beziehungs-Mainstreamler nicht mit den chaotischeren, bunteren und emotionalen Beziehungs-Schmetterlingen zusammen passen. Ein Mainstreamler geht seinen Weg, ein Schmetterling fliegt erst mal ohne Plan. Hauptsache in der Luft, wohin es geht, wird der Wind schon zeigen. Letztendlich landen sie beide vermutlich irgendwann an dem gleichen Punkt, aber ein Hand in Hand ist da schwierig. Noch schwieriger gestaltet es sich, wenn einer der beiden selbst gar nicht weiß, was er ist. Und was er will. Fliegen wir, gehen wir, vor zurück, hoch runter, ja was denn nun? Es schenkt keine Energie, es raubt sie nur. Dabei wollen beide eigentlich und einfach das Selbe: einen Weggefährten. Einen, der den ganzen Weg mit einem geht. Und nicht bloß ein Stück bis zur nächsten Abzweigung.

Letzte Woche saß eine sehr alte Dame allein an einem Tisch in meiner Schicht. Es gibt sie, diese einsamen Menschen, die versuchen, mit irgendwelchen Phrasen ein Gespräch zu beginnen. Sie war nicht so ein Mensch. Als ich ihr Brot auf den Tisch stellte und gleich weiter wollte, hielt sich meinen Arm fest. "Sie lachen so viel, aber Sie haben traurige Augen. Ihr Herz lacht nicht mit!" Ach du Scheiße, dachte ich. Bitte nicht so einen Zigeunerkram während der Arbeitszeit. Doch sie ließ sich nicht beirren und fuhr fort: "Seit 4 Jahren bin ich jetzt ohne meinen geliebten Mann. Er kam zu mir als ich 17 war und ging von mir als ich 78 war. Glauben Sie mir, ich weiß, wie Liebeskummer aussieht." Ich lächelte und ging zurück hinter den Tresen. Ich polierte Gläser und beobachtete die alte Dame. Sie war schön gekleidet, in ihrem altrosa Tweed-Kostüm. Die Haare ließ sie sich sicher jeden Tag vom Friseur um die Ecke machen und auch wenn sie beim Auftragen des Lippenstiftes zitterte, sah er perfekt aus. Sie hob die Hand und zeigte auf ihr leeres Weinglas. Ich verstand und brachte ihr ein neues Glas. "Setzen Sie sich doch einen Moment zu mir. Es ist doch niemand da." Unangenehm sind mir derartige Einladungen in der Regel, doch sie tat mir leid und so setzte ich mich.

"Wissen Sie, es gibt einen Schlüssel für eine lange Liebe. Die Fähigkeit, kurz nach einem Streit aus vollem Herzen miteinander zu lachen. Hat man dieses Geschenk, diese Gabe, stehen die Chancen nicht schlecht, auch in der heutigen wertlosen Zeit miteinander alt zu werden." Ich schaute sie an. Sie blinzelte. Und ich fragte mich, warum diese Dame mit mir über die Liebe und nicht über den Schnee oder ihre Gesundheit sprechen wollte. "Ich komme gerade von meinem Mann. Ich bringe ihm jede Woche Blumen und seinen Lieblingstabak. Sie denken bestimmt, das ist verrückt, aber so ist er immer bei mir. Ich freue mich, ihn wieder zusehen. Ich glaube fest daran. Sie auch?" Sie musterte mich über den Rand des Glases hinweg und ich fing an, nervös auf meinen Lippen zu beißen. Sie wartete meine Antwort gar nicht ab und fuhr vor: "Sie können ihre Liebe sehen. Sie ist nicht begraben." Doch, das ist sie, dachte ich. Vielleicht nicht unter mehreren Schichten feuchter Erde, aber unter Ängsten, Zweifeln und Dummheit. Als hätte sie meinen Gedanken erraten, fuhr sie fort: "Verlieren Sie nicht den Glauben an das Langfristige. Es ist nicht ausgestorben, es ist hier überall. Aber diese Art von Beziehungen bedeuten Arbeit. Der Wille, an sich selbst zu arbeiten, der Wille, um etwas zu kämpfen, der Wille, ein Risiko einzugehen. Und die Bereitschaft, einander an der Hand zu halten." Ich nickte und erhob mich, zu eindeutig, zu schnell. Sie hatte mich und ich wußte es. Ich zog den Rückzug an, kniff mir hinterm Tresen fest in beide Arme und zwang die Tränen, in ihren Drüsen zu bleiben.
testsiegerin - 15. Feb, 20:53

Jetzt muss ich weinen.
Wunderschön geschrieben. Und die Weisheit der alten Frau tut weh. Und man fühlt sich selbst als Versagerin, weil man nicht schafft, wovon sie spricht.

logo

Frau Settergren sagt...

Archiv

Februar 2010
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 3 
 4 
 6 
 7 
 8 
 9 
11
14
18
20
21
22
23
24
26
27
28
 

Besucheranzahl

Aktuelle Beiträge

Frau Settergrens Video...
Das Leben - und wie ich es zu meinem machte. Jetzt...
Frau Settergren - 15. Mai, 09:25
Über falsche Bestellungen...
Bei meiner Bestellung sagte ich extra “Ohne Champignons...
Frau Settergren - 6. Sep, 16:32
Das ist das Traurigste...
Das ist das Traurigste und Nachhallendste, was ich...
romeomikezulu - 24. Aug, 10:07
Unser letzter Tag.
Nasses Haar, das im Gesicht kitzelt Meine Nase in deinem...
Frau Settergren - 22. Aug, 15:51
Was für eine traurige...
Was für eine traurige Geschichte. Und wie merkwürdig...
romeomikezulu - 26. Jul, 22:54

Mein Lesestoff


Jonathan Franzen
Die Korrekturen


Fernanda Eberstadt
Liebeswut


Musikliste


Joy Division
The Best of



Cocorosie, Coco Rosie
La Maison de Mon Reve


Radio Musik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter