24
Jul
2010

This is not a love song.

Es war ein schwerer Streit. Ein böser, gemeiner Kampf. Der liebenswürdige Held trifft auf den gnadenlosen Endgegner und dieser hat nur ein Ziel: die totale Zerstörung. So wie in jedem Computerspiel gibt es einen Zaubertrank, eine Wunderwaffe oder eine Melodie, die den Feind hilflos zu Boden sinken lässt.

„Don’t leave me this way!“ ruft er mir hinterher. Und weil ich automatisch Thelma Houston höre, wie sie traurig ihre Verzweiflung ins Mikro haucht, drehe ich mich um und kehre zurück. Gehe langsam auf ihn zu, kopfschüttelnd und lasse mich von ihm umarmen, von ihm küssen und weiß, ich habe es wieder nicht geschafft. Ihn zu besiegen. Ihn zu verlassen.

Ich hatte es fest vor. Ich habe akribisch genau alle Gründe aufgezählt, warum es mit uns nicht klappen kann. Er ist zu jung. Viel zu jung. Nein, ich sehe nicht diese schreckliche tickende Uhr über meinem Kopf. Ich verspüre keinen Kinderwunsch und ich es ist auch nicht so, dass ich keine Liebe suche, sondern Sperma. Aber ich möchte doch zumindest die Möglichkeit nicht ausschließen und die Fantasie haben, dass der Mann, mit dem ich ein- und beischlafe, der potenzielle Vater einer meiner Kinder sein könnte. Irgendwann. Der viel traurigere und gewichtigere Grund ist ein anderer.

Ich liebe ihn nicht. Ich liebe sein Lachen, sein Haar, seinen Körper, seinen Witz und seine Sanftheit. Seine Unbekümmertheit fasziniert mich und ich fühle mich geborgen, wenn er mir vor dem Einschlafen leise etwas vorsingt und meinen Rücken streichelt. Ich bin glücklich, wenn wir in der Dämmerung am Strand sitzen und über Gott und die Welt sprechen und ich bin eifersüchtig, wenn ihm schöne Mädchen kecke Blicke zuwerfen. Aber ich liebe ihn nicht.

Wollte ich mit ihm darüber sprechen, lenkte er ab, fiel mir ins Wort. Als könnte er damit die unabänderliche Wahrheit in ein Happy End verwandeln. Der Tee muss nur lang genug ziehen, dann wird er schon schmecken. Wenn ich nicht mehr weiter wusste, kamen mir die Beatles zu Hilfe. Ich versuchte es mit „You like me too much!“, entschuldigte mich mit „I should have known better“, erklärte mich mit „I’m happy just to dance with you“ und befahl ihm „You’ve got to hide your love away“. Aber nichts wirkte, nichts machte es besser. Wir verfingen uns im Strudel der verzweifelten und unerfüllten Liebe und in meinem Kopf lief in einer Endlosschleife eine traurige Version von „Help!“.

Und jetzt sitzt er wieder vor mir. Hält meine Hände als würde das irgendetwas ändern. Als hielte er mich fest wie einen Heliumballon an der Schnur. Er ist erschöpft, das Schreien und Weinen hat ihm Kraft geraubt. Er schließt die Augen und murmelt in meinen Nacken „I don’t wanna go on with you like that“. Elton John. Er wischt sich mit beiden Händen die Tränen aus den Augen und atmet mit einem traurigen Lachen aus. „I want love“. Wieder Elton John. Ich schaue ihn an und hoffe darauf, dass er vielleicht mit „This train don’t stop here anmyore“ nachlegt. Aber er schweigt. Als hätte ihn in letzter Sekunde der Mut verlassen.

Vor dieser traurigen Zeit war er mutig. Tanzend rempelte er mich in dem überfüllten Underground-Schuppen in Shoreditch an. Mein Drink schwappte über und ich blickte ihn sauer an. „Hey, das ist doch nicht so schlimm, du bist doch eh schon total hinüber.“ lachte er, nahm meinen Wodka und exte ihn in einem Zug. Wie selbstverständlich griff er nach meiner Hand und wir tanzten. Tanzten die ganze Nacht. Unsere Freunde vermischten sich, tranken zusammen, lachten zusammen und so wurde unsere Welt geboren. In nur einer Nacht. Er brachte mich nach Hause. Es war warm. London war außergewöhnlich still, so als hielte die Stadt den Atem an, um unseren Moment nicht zu zerstören. Er war übermütig. Kletterte auf Straßenlaternen, bis nach ganz oben, und pflückte mir eine der süßen Blumen, die von den Kübeln baumelten. Er hangelte sich nicht herunter, sondern sprang. Wie eine Katze. Und küsste mich. Einfach so. Und einfach so, blieb ich dort. 3 Monate.

Als ich wieder zurück nach Hamburg musste, sahen wir uns trotzdem ständig. Egal, ob ich jemanden in Deutschland küsste oder er jemanden in England, das zählte nie. Wir lebten in unserer eigenen Welt, die aus Skype und Ryanair bestand, und redeten uns ein, dass wir alles richtig machten. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander und es war einfach, weil kein Kusspartner, egal ob englisch oder deutsch, den Sprung in ein höheres Level schaffte. Wir waren glücklich. Jedenfalls so glücklich, wie man ohne Liebe sein kann.

„I want love“. Und da wird es mir klar. Jetzt, in der Stille des Moments, fernab der Ablenkung, der Parties und des Alkohols, wird mir klar, was ich die ganze Zeit hätte wissen müssen. „Ich habe Liebeskummer.“ flüstere ich. Er springt auf, als hätte ihn jemand erschreckt. „Aber den musst du doch gar nicht haben! Wir bekommen das schon hin, ich ziehe nach Deutschland oder du nach England, es gibt doch eine Lösung.“ ruft er aufgeregt, fast beschwingt. Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen steigen und mir schlecht wird. „Ich bin traurig wegen eines anderen.“ Er starrt mich an. Seine Augen verengen sich, sein Mund wird schmal. Er presst die Lippen aufeinander und stützt seinen Kopf in beide Hände. „Wann hast du ihn kennengelernt?“ Seine Stimme zittert. „Im April“ sage ich leise. „Aber es ist schon wieder vorbei.“ Ich fange an zu weinen, umarme ihn und er klammert sich an mich. So bleiben wir eine endlos lange Zeit auf dem Sofa. Die Sonne wirft lange Schatten auf den Boden, auf welchem wir gestern noch lagen und uns mit Marshmallows fütterten.

Ich spüre seinen Herzschlag an meinem Kopf und weiß, welcher Song gleich kommen wird. Ich küsse ihn ein letztes Mal, während mein kleines Orchester die ersten Takte spielt...

„You must leave now, take what you need,
you think will last

But whatever you wish to keep, you better grab it fast

Yonder stands your orphan with his gun

Crying like a fire in the sun

Look out the saints are comin’ through

And it’s all over now, Baby Blue“

logo

Frau Settergren sagt...

Archiv

Juli 2010
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
25
26
27
28
29
30
31
 
 

Besucheranzahl

Aktuelle Beiträge

Frau Settergrens Video...
Das Leben - und wie ich es zu meinem machte. Jetzt...
Frau Settergren - 15. Mai, 09:25
Über falsche Bestellungen...
Bei meiner Bestellung sagte ich extra “Ohne Champignons...
Frau Settergren - 6. Sep, 16:32
Das ist das Traurigste...
Das ist das Traurigste und Nachhallendste, was ich...
romeomikezulu - 24. Aug, 10:07
Unser letzter Tag.
Nasses Haar, das im Gesicht kitzelt Meine Nase in deinem...
Frau Settergren - 22. Aug, 15:51
Was für eine traurige...
Was für eine traurige Geschichte. Und wie merkwürdig...
romeomikezulu - 26. Jul, 22:54

Mein Lesestoff


Jonathan Franzen
Die Korrekturen


Fernanda Eberstadt
Liebeswut


Musikliste


Joy Division
The Best of



Cocorosie, Coco Rosie
La Maison de Mon Reve


Radio Musik
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren

kostenloser Counter