12
Aug
2006

19.00

Er kommt um 19.00 Uhr. Sie ist nicht mehr aufgeregt. Früher, denkt sie, früher war sie schon drei Stunden vorher aufgeregt. Hat die Wohnung geputzt und sich was nettes angezogen. Sie wollte schön sein. Schön sein für ihn. Ihm wieder zeigen, dass sie mit all den Frauen mithalten kann, die er in den letzten Monaten gevögelt hat. Dass sie immer noch seine Kleine ist. Sein Baby. Sie geht zum Fenster. Es ist dunkel und es regnet. Rainy days never say goodbye. Der Song fällt ihr ein. Die Strasse ist voller Blätter. Ein typischer ungemütlicher Herbstabend. Sie beobachtet ein Ehepaar, das sein Kind im Kindersitz verstaut. Früher, da war so ein Szenario ihr Tagtraum. Ihr liebster. Schnell wischt sie den Gedanken weg. Ihr Blick geht zur Uhr. 18:45 Uhr. Soll sie vielleicht doch lieber schnell die Gammelhose, die er an ihr so süss findet, gegen die enge Jeans eintauschen? Ach was, wozu? Er sieht sie eh mit den alten Augen. Mit den Augen, mit denen er sie immer gesehen hat. Sie könnte eine andere Rolle spielen, sich anders geben. Es würde an ihm abprallen. Er sieht sie wie damals. Sie bleibt seine Kleine. Die einzige Frau, bei der er so sein kann, wie er ist. Mit der er stundenlang eng aneinander gekuschelt auf der Couch liegen und reden kann. Die einzige. Sie ist müde. Ihr Herz bleibt bei den Gedanken an dieses Wissen emotionslos. Sie fühlt nichts ausser einer grossen Traurigkeit. Warum musste sie sich auch in einen rastlosen Mann mit unbändigem Freiheitsdrang verlieben? Hatte sie sich denn in ihn verliebt? Als sie damals zusammenkamen, die zwei Seelenverwandte, der Deckel und der Topf, war er nicht so. Oder war er schon immer so und hatte sich die ganzen Jahre verstellt? Sie weiss es nicht. Wieder ein Blick auf die Uhr. 18:49 Uhr. Sie spielt mit ihrem Haar. Dreht immer wieder die gleiche Strähne zu einer Kordel und macht kleine Knoten. Ihr Blick schweift durch die Wohnung und bleibt an der Karte, die er ihr geschrieben hat, kleben. „Für meine Kleine". Kurz wird sie wehmütig. Zerrt aber sofort einen anderen Gedanken in ihren Kopf. Sie will es beenden. Sie will ihm sagen, dass es so nicht mehr geht. Dass sie ihn schmerzlich vermisst, sobald er sie verlassen hat. Sie will ihm noch viele andere Sachen sagen. Dass sie ihn manchmal hasst, weil er seine jetzige Männer-WG angenehmer findet, als die Jahre mit ihr in einem Haus. Dass sie ihn auch hasst, wenn er andere Frauen trifft. Frauen, über die er sagt, dass sie ihn langweilen, dass er eigentlich gar keine Lust auf diese Dates hat. Sie möchte ihn dann auslachen. Möchte fragen, ob er weiss, was er da redet. Aber sie tut es nicht. Sie hört einfach zu. Sie möchte ihm manchmal ins Gesicht schreien, dass er launisch und ungerecht ist. Und manchmal, ganz selten, möchte sie ihm eine runterhauen. So richtig. Ohne Vorwarnung. Einfach ausholen und BAMM! 18:52 Uhr. Sie schlendert in die Küche, schenkt sich einen Saft ein. Trinkt. Lässt in ihrer typischen Art einen Spuckrest im Glas. Das hat ihn früher verrückt gemacht. Er hat sich ständig über ihre Macke aufgeregt, das Glas nicht komplett zu leeren. Heute findet er es süss. Er hat es akzeptiert. Warum kann sie nicht akzeptieren? Vermutlich, weil es einen Unterschied gibt zwischen Spuckresten im Glas und seelischer Grausamkeit. Aber sie hat es sich ja so ausgesucht. Sie war der Meinung, dass es ihr ohne ihn noch schlechter ging als mit ihm. Sie war stark. Doch jetzt ist sie müde. So müde. Ihr gefällt die Rolle der Kleinen nicht mehr. Sie will ihre Meinung sagen, will auf den Tisch hauen. So wie sie es früher tat. Und wenn er dann vom Hofe kriecht wie ein geprügelter Hund, dann will sie stolz und fröhlich sein. Und nicht am Boden zerstört. Sie ist es leid, ihm immer und immer wieder zu beweisen, dass sie besonders ist, anders als all die rotzhohlen Pipimädchen, die sich schon beim ersten Date als seine Freundin sehen, sich um ihn reissen und anbieten. Ein komisches Gefühl durchfährt sie. Bietet sie sich nicht auch an? Ein lautes Auto mit schwerem Motor. Sie rennt zum Fenster. 18:57 Uhr. Er ist es. Seine typische Art einen Parkplatz zu suchen. Langsam zu fahren, um dann ruckartig Gas zu geben und weiterzufahren. Er hat Glück. Genau vor der Tür ist eine Parklücke frei. Sie beobachtet ihn. Einparken kann er nicht. Irgendwie amüsiert sie das. Der grosse, starke Mann, der Held, den alle vergöttern, kann nicht einparken. Sie kichert. Er kramt seine Sachen zusammen. Guckt schon zu ihr, winkt. Sie winkt nicht zurück. Und bemerkt es gar nicht. Sie mustert ihn. Ihr fällt sein Kinn ein. Es ist ein richtiges Hexenkinn, welches ihr früher nie aufgefallen war. Eigentlich ist es hässlich. Sie stellt ihn sich vor, mit einer Warze auf der Nase und einem Kopftuch. Ihre Gedanken driften ab und sie schiebt die Hexe in den Ofen. Lachend schüttelt sie den Kopf. Gott, Mädchen, jetzt nicht die Nerven verlieren. Es klingelt. Sie rührt sich nicht. Es klingelt wieder. Sie überlegt, was wäre, wenn sie nicht zur Tür ginge. Kleine, mach auf! Hört sie ihn rufen. Langsam geht sie zur Tür. Spürt, dass er auf der anderen Seite steht und lächelnd wartet. Die Hände in den Taschen. Gross und cool. Ihre Hand geht zum Türgriff. Sie zieht sie zurück. Plötzlich ist alles so klar. Mit ruhiger Stimme antwortet sie durch das weiss lackierte Holz:
Deine Kleine gibt es nicht mehr.
19:00 Uhr.

27
Mai
2006

(Hübsche) Männer und Hunde

Es ist nicht zu fassen, was mir in der letzten Zeit alles passiert. Es ist wirklich nicht zu fassen. Da in meinem Kopf einige Unruhen (um nicht zu sagen: heilloses Durcheinander) herrschen und zuweilen die ein oder andere mir völlig unbekannte Stimme zu mir spricht, habe ich mich heute entschlossen, einen Spaziergang am schönen Alsterlauf zu machen. Ich meine, ich wohne hier schon ein halbes Jahr und war gerade mal 2x spazieren. Das ist eigentlich eine Schande. Der Alsterlauf, der direkt unten am Garten entlang läuft, wird schliesslich jeden Monat mitgezahlt. Ich spaziere also los. Anfangs komme ich mir fast schon bescheuert vor, aber langsam finde ich eine Gangart, die nicht total hektisch oder apathisch wirkt und finde gefallen an der Sache. Und oh Wunder... langsam beruhigt sich alles in meinem Kopf, ich bin sogar fähig, Gedankenirrgänge zu entwirren und neu zu ordnen, gewisse Logiken in abstruse Gefühle zu bekommen und fühle mich einfach entspannt. Ich könnte quasi ein Liedchen anstimmen, so gut geht es mir gerade. Doch dieses Liedchen bleibt mir regelrecht im Halse stecken, ich schaffe nicht mal das erste Wort.
Denn: ein Ungetüm von einem undefinierbaren Etwas stürmt regelrecht auf mich zu. Ist es ein Pony? Ein Bison? Ich habe keine Ahnung, ich weiss nur, dass es mich anpeilt und bete, dass es in friedlicher Mission kommt. Es beginnt zu bellen. Es bellt?!
Ein... HUND? Verdammt, das soll ein Hund sein? In welchen Zaubertrank bzw von welchem holländischen Laster ist der denn gefallen? Meine letzte Handlung, die ich noch ausführen kann, ist der hektische Blick nach hinten, ob hinter mir vielleicht das Frauchen mit etwas Leckerem wedelt und besagtes Riesenviech gar nicht mich anpeilt, sondern eben sie. Aber nein... Leere. Nichts. Da hat es mich auch schon erreicht. Ich denke nur noch: "Springst du mich an, sterbe ich!" Es springt mich nicht an. Es zieht hysterische Kreise eng um mich herum und bellt. Ich bewege mich nicht. Ich wage es nicht einmal zu atmen. "Oh bitte lieber Gott, lass ein Riesensteak vom Himmel fallen oder zehntausend Kaninchen durch die Gegend hoppeln." bete ich leise. Als ob Gott eine Direkt-Verbindung zum Höllenhund (ah da schliesst sich der Kreis!) hat, setzt dieser sich hin. Und hechelt. Und glotzt. Ich glotze auch. Wenn auch weniger cool als der Hund. Ok... meine gerade so schön geordneten Gedanken rasen. Die Stimmen sind auch wieder da. Die eine sagt: "Bleib stehen, leg dich am besten flach auf den Boden und rühr dich nicht, atme nicht und warte." Die andere schreit fast: "Tritt ihn!!! Tritt ihn und lauf weg. Lauf um dein Leben!" Bevor ich aber der einen oder anderen Stimme folgen kann, höre ich ein Lachen. Ein männliches, lautes, schadenfrohes Lachen. Ich fahre herum. Der Hund springt auf. "Oh nein!" entfährt es mir laut. Der lachende Verrückte kommt aus dem Gebüsch. "Der tut nichts!" (Haaaar, der tut nichts!! Der beste Spruch. Ich könnte hier ohne Beine liegen, welche gerade zerfetzt den Alsterlauf hinab schwimmen und er würde sagen: der wollte doch nur spielen!) Ich setze meinen fiesesten Blick auf. "So, der tut nichts?" (Der TUT einem Angst machen, würde ich am liebsten sagen, aber nachher denkt der noch, ich rede wirklich so und spare mir auch gleichzeitig die Frage, nach diesem komischen Hundeführerschein... den gibt es doch, oder?) Höllenhund-Besitzer lacht weiter. "Nein, Kasper ist ganz lieb."
Kasper? Wäre Luzifer nicht passender gewesen, du Kasper? Ich, wieder mal total überfordert mit dieser Situation, drehe mich nur um und sage: "schön!". Ich stapfe weiter durch das Wäldchen und drehe mich demonstrativ nicht noch mal um. Nach einer Minute wage ich es, mein Schritttempo zu drosseln und nach zwei Minuten habe ich den Schrecken schon fast verarbeitet, ganz ohne Therapeuten, da passiert die nächste Frechheit. Ein gelber Tennisball rollt an mir vorbei und… richtig, Kasper prescht hinterher. Das hat der dämliche Typ doch mit Absicht gemacht... Kasper zieht erneut seine hektischen, hysterischen Kreise um mich herum. und... legt mir den Ball vor die Füsse. Diesen vollgesabberten, zerranzten, gelben Tennisball. Iiiiih. Ich gucke angewidert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich zusätzlich zu meinen bereits erwähnten Stimmen auch noch Halluzinationen bekomme, aber ich könnte schwören, dass Kasper mich anlächelt. Hilflos stehe ich vor Ball und Hund. Gassi-Geher kommt hinzu. Lacht immer noch: "Mein Gott, jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, nimm den Ball schon." Endlich finde ich meine Stimme wieder: "Wie kommt ihr Hundebesitzer nur immer darauf, dass wir normalen Menschen es toll finden, einen voll gesabberten Ball anzufassen, wegzuwerfen, nur um ihn wiederbringen zu lassen?" Hundemann lacht nicht mehr. Lächelt aber. "Bist du öfters hier? Ich hab dich noch nie hier gesehen." Ja schön... soll ich jetzt sagen: ich wohne genau da oben, bin aber so arschfaul, dass ich nie joggen gehe und sorry, nen Hund habe ich auch nicht oder was sage ich jetzt? "Ist normalerweise nicht meine Zeit." sage ich. Und blicke dem Kasper-Hunde-Mann das erste mal ins Gesicht. Nein, der oh-mein-Gott-Effekt wie bei Nachbar-Mats bleibt aus. Aber er sieht schon gut aus, der Hundemann. Als hätte er meine Gedanken erraten, streckt er mir die Hand hin: "Stefan (oh nein! Kackname.)!" Ich nehme seine Hand und stelle mich vor. Wir setzen uns wieder in Bewegung und gehen tatsächlich ein Stück zusammen. Wir unterhalten uns. Stefan wirft den Ball, Kasper holt ihn. Komischerweise bringt Kasper jedes Mal mir den Ball und nicht seinem Herrchen. "abgerichtet, was?" frage ich. "Ja... wir sind schon ein gutes Team, der Kasper und ich." antwortet er frech und tätschelt seinen Kumpanen. "aber hat doch funktioniert, oder nicht?" seine Augen funkeln mich an. "Vielleicht..." sage ich "...vielleicht." und schiesse lässig den Ball weg.
(Ok so lässig war das gar nicht, ich bin ganz schlecht im Schiessen, wirklich ganz schlecht und der Ball landete im moorigen, verschmodderten Alsterlauf, Kasper natürlich direkt hinterher, hat den Ball ewig nicht gefunden, kein Wunder, versank der doch gerade an der ekelhaftesten Stelle. Dieses Mal habe ich gelacht. Aber der Stefan-Höllenhund-Mann auch und Kasper sah sogar fast süss aus.)

ich glaube ich hole mal meine Laufschuhe unterm Bett hervor.

4
Apr
2006

Kastanienterror

Wie hinterhältig Osama Bin Laden und sein Gefolge ist und die Sonne im April sein kann, wissen wir alle. Aber hat sich jemand mal Gedanken darüber gemacht, dass der eigentliche Terror von Kastanienbäumen und ihren Kamikaze-Früchten ausgeht? Ich meine... wie sonst soll ich mir erklären, dass ich vor einem riesigen Kastanienbaum Halt mache, um ihn zu bewundern. Die Sonne scheint wunderschön durch die mittlerweile braunen Blätter hindurch und kindliche Begeisterung macht sich in mir breit. Ach und die vielen glatten Kastanien am Boden! Ich bin entzückt und fange an zu sammeln. (Im Hinterkopf schwirrt diese Bastelei ausm Kindergarten... da haben wir Zahnstocher in die Kastanien geschoben und Rehe und sonstiges Getier gebastelt.) Aber scheinbar findet es der Kastanienbaum überhaupt nicht besonders angenehm, von mir beklaut zu werden, denn er feuert eine gut platzierte harte Kastanie samt Dornen-Schutz-Hülle auf meinen Kopf ab. (Gut gezielt, Kamerad!) "SACH MA!" entfährt es mir und ich richte mich auf. Misstrauisch reibe ich mir die Stelle am Kopf, die wirklich ganz schön wehtut. (Ein „geht’s noch?" verkneife ich mir, ich meine, wer spricht denn bitte mit B-ä-u-m-e-n??) Nach einer kurzen Schrecksekunde ist meine Wut auf den Baum quasi verflogen und ich fange wieder an zu sammeln. Ein paar Minuten geht es gut, doch dann fährt ein ziemlicher wuchtiger LKW vorbei und eine Salve Kastanien prasselt auf mich nieder. Kein Witz. Ich habe genug. Ich trete noch ein Mal mit aller Kraft gegen den blöden Kastanienbaum (da passierte natürlich nichts! Quasi: wenn ich darf/soll ist es ja langweilig) und haue mit dem Diebesgut ab...aber den Fuckfinger aus sicherer Entfernung kann ich mir nicht verkneifen.

Terrorbäume... wo gibt es denn sowas?

12
Mrz
2006

Morgendlicher Schockalarm

Der Tag ist noch so jung und mir sind bereits zwei aufregende Sachen passiert. Träumend liege ich im Bett. Und verdammt, es ist ein herrlicher Traum. Es ist einer dieser Träume, die ein verliebtes Gefühl hinterlassen, sobald man die Augen aufgeschlagen hat. Meistens weicht dieses Verliebtsein der Enttäuschung, dass doch alles nur ein Traum war und man allein im Bett liegt, gar kein Sportboot, den schicken Prada Bikini und eine eigene Siddha-Yoga-Lehrerin hat und erst recht nicht mit dem Mann seiner (aktuellen) Träume auf der cremefarbenen Yacht-Sitzecke liegt, während er einem die Füsse massiert und immer wieder beteuert, wie schön man doch wäre.
Ich liege also träumend im Bett. Plötzlich reisst mich ein lautes Knallen aus dem (ich muss es noch mal sagen) herrlichen Schlaf. Was zur Hölle… ich schiebe meine Schlafbrille auf die Stirn und lausche. Da, wieder ein Krachen! Und… tiefe Männerstimmen, die wild durcheinander reden. Ich tippe spontan auf die Bauarbeiter-Fraktion. Na fein. Es ist vorbei mit der Nachtruhe. Ist ja auch schon 7.30 Uhr, da kann man ja ruhig mal ein bisschen vor meiner Haustür herumpoltern und Krach machen. Aber noch gebe ich nicht auf, vielleicht war das Lärmen nur ein Versehen, und verkrieche mich unter zwei Kissen und ziehe mir zusätzlich noch die Decke über den Kopf. So halte ich es aber gerade mal zwei Minuten aus. Mit hochrotem Kopf und dem Erstickungstod nahe, grabe ich mich aus der Höhle und latsche schlecht gelaunt in die Küche. Erst mal einen Roiboos Tee Karamel und eine Prise Frühstücksfernsehen Premiere einschalten. Morgens einen kranken Gruselfilm zu gucken (Feardotcom) kommt mir irgendwie gestört vor und ich schalte auf den Discovery Channel. Fein, eine Sendung über Sky City, das soll mal eine 1 km hohe Stadt in Form eines Wolkenkratzers werden. Wie interessant, das gucke ich. Glücklich sitze ich im Nachthemd auf der Couch, trinke meinen Tee und lausche dem überaus interessanten Bericht. Ich höre genau drei Minuten, da ist es mit dem Verstehen des Sprechers auch schon vorbei.
BOHRER!!! Bohrgeräusche so laut als würde man mir direkt die Schädeldecke anbohren! Ich fasse es nicht. Es gibt nichts auf der Welt, das ich mehr hasse, ausser Stau und Labskaus, absolut nichts. Bohrgeräusche stehen auf meiner Hass-Liste auf jeden Fall ganz ganz oben. Mein Blick geht zur Uhr. Ok. Es ist 7.45 Uhr. Eine Viertelstunde vor offizieller Krachmach-Zeit. Schnell hat mein Hirn entschieden: ich beschwere mich. Ich gehe mich beschweren, jawoll. Ich trampel zur Haustür (energischer Auftritt signalisiert Aggressivität und Entschlossenheit) und rechne fest damit, einem schon jetzt verschwitzten Bauarbeiter im Holzfällerhemd mit rotem Kopf und dazugehöriger Fahne die Meinung zu geigen, als es klingelt.
Es klingelt?! Das bringt mich leicht aus dem Takt, ganz leicht nur, denn ich reisse trotzdem wutentbrannt die Haustür auf. SCHOCK! Da steht ja schon einer direkt vor mir. Und was für einer… Ich starre ihn an. Ich bin mir nicht sicher, ob mein Mund offen steht, aber ich weiss, dass ich starre und ich kann in dem Moment auch nichts dagegen tun. Mir fällt Gabrielle ein und sie singt "...it's really rude to stare".
ER sieht aus wie frisch vom Surfbrett gestiegen. Blondgesträhntes (natürlich von der Sonne!) lockiges (LOOOCKEEEEN!!!) Haar, ein lässiges Shirt, noch lässigere Jeans und Flipflops. In meinem Kopfkino läuft „die blaue Lagune“ mit uns als Hauptdarsteller und ich glaube, ein bisschen „inside Deep Throat“ „Basic Instinct“ war auch dabei. Innerhalb von Sekunden finde ich meine Sprache wieder (ich bin schliesslich Profi) und mein Hirn rutscht wieder dahin, wo es hingehört.

„Muss das sein??“ belle ich.
Er lächelt mich an. Was für tolle Zähne! Oh Gott… Bohrer Jennie, der bohrt um diese Uhrzeit!! Er lächelt mich also an und sagt (allen ernstes):
„Was? Was muss sein?“
Ich: „Na das BOHREN!! Hast du (ich weiss macht man nicht, aber wie uncool wäre es, den zu siezen?) mal auf die Uhr geguckt? Hier bohrt man erst ab ACHT!!!“
Er: „Bist du die Hausmeisterin?“
Ich (sichtlich geschockt über gestellte Frage): „…………“
Er: „Siehst du. Ich wollte dir nur sagen, dein Wagen steht im Weg, wir können nicht ausladen.“
Ich: „…….“ (ausladen?)
Er: „es wäre nett, wenn du ihn schnell umparken könntest. Aber vielleicht ziehst du dir kurz was anderes an, meine Jungs lassen sich so schnell ablenken.“
FUUUUUUCK!!! Ich habe ja noch mein (kurzes) Nachthemd an… OH FUCK OH FUCK.
Scotty soll mich upbeamen oder der Erdboden soll sich auftun oder…
Ich ringe um Fassung, stammel nur ein „Ok.“
Und schliesse die Tür.
Völlig fertig rutsche ich mit dem Rücken die Tür entlang und sitze auf dem Boden. Was zur Hölle ist da gerade passiert? Wo ist meine Schlagfertigkeit und wo ist meine Wut? Ich bin das grösste Arschloch der Welt, nicht immer, aber oft, wie kann es sein, dass mich so ein schmalziger Surfertyp aus der Fassung bringt?!
Es klopft. Oh Gott… bitte nicht.
Vorsichtig mache ich auf.
Er schon wieder. „Du wohnst hier noch nicht mal und nervst mich schon!“ würde ich ihm am liebsten an den Kopf knallen. Stattdessen sage ich: „was ist denn noch?“
Da streckt er mir seine Hand entgegen, lächelt das ultimative Surferlächeln und sagt:
„ich bin Mats. Ich bin dein neuer Nachbar. Und übrigens… schöne Schlafbrille!“
Klasse.
Nach all diesen Strapazen brauche ich erst mal ein Franzbrötchen vom besten Bäcker der Welt und eine Frühstückslektüre. Ich fahre also aus meiner Einfahrt raus und fast direkt in ein anderes Auto hinein. Vollbremsung. Ich atme ein. Ich atme aus. Ich lächle. Der Mann im anderen Auto lächelt nicht. Ok ich lächle unsicher und mache grosse Augen, versuche die Klein-Mädchen-Nummer. Der Mann lächelt immer noch nicht und fährt auch nicht weiter. So kann ich auch nicht weiterfahren. Ich signalisiere ihm mit einem hochgestreckten Daumen, dass doch alles ok ist und dass er weiterfahren soll. Da kurbelt er sein Fenster runter und schreit: „Blödes Scheiss-Mädchen!“
Bitte?????????????????????????????????????????????????????
DAS hätte er mal zu mir sagen sollen, DAS geht eindeutig zu weit!
Ich lasse mein Fenster runterfahren und schreie: „untervögelter Vollspasti, dämlicher, verpiss dich von meiner Strasse!“
Schnell drücke ich die Zentralverriegelung. Er zeigt mir noch den Fucker, macht den Scheibenwischer und pöbelt Zeugs, das ich nicht verstehe, weil ich mein Fenster aus Sicherheitsgründen schnell wieder hochfahren lasse. Er fährt weiter, ich fahre weiter und mit einem beschämten Blick Richtung Haustür sehe ich, dass scheinbar der neue Nachbar Mats und all seine Kollegen meine Vorstellung gesehen haben.

Das heisst.; Er weiss schon jetzt, wie ich morgens aussehe, dass ich scheisse Auto fahre und dass ich ab und an eine leichte Aggressivität an den Tag lege.
Wir könnten also quasi gleich heiraten.

Mein Rohr, mein Rohr explodiert!

Ich kann meine ganzen Ikea Möbel selber aufbauen, die Wasserkiste alleine hoch schleppen und wenn es sein muss, dann fülle ich auch das Wischwasser im Auto alleine nach. Aber eins kann ich scheinbar nicht... Mit gefährlichen Chemikalien umgehen.

Mein Abflussrohr im Waschbecken im Bad war eigentlich seit meinem Einzug seit ein paar Tagen verstopft. Am Anfang ging es ja noch, aber mit der Zeit wurde es immer und immer ekeliger. Es kam ein phasenweise Ekel erregender Gestank aus dem Loch und es war einfach nicht schön, dass man so lang vor dem Waschbecken stehen bleiben musste, bis das Wasser endlich mal abgelaufen war, um dann die leckeren Zahnpasta- und Auswurf-Reste zu beseitigen. Man schafft locker das erste Kapitel von "Liebeswut" oder sogar eine ganze Cosmopolitan, während man so dasteht und wartet.
So stiefelte ich schon vor zwei Wochen los, um ein fieses Mittelchen gegen verstopfte Rohre zu kaufen. Es war so ein Double-Schaum-Mittel, welches wirklich half, aber noch nicht zum einwandfreien Abfluss führte. Die Plörre lief zwar schneller ab, aber noch nicht schnell genug. Deshalb kaufte ich heute die Chemiekeule, den Turbo-Booster der Rohrreiniger, die Vorstufe einer Atombombe! Ich wunderte mich schon etwas darüber, dass dieses Gebräu völlig legal käuflich zu erwerben war und ich nicht in einem Hinterhof per auffälligem Augenzwinkern und noch auffälligerem coolen Kopfnicken in ein gruseliges Zimmer geführt wurde, in welchem ich dann meinen Geldkoffer abstellte und mir die verbotene Ware in die Hand gedrückt wurde. Nein, alles wirklich ganz legal und an der Kasse tippte mir auch niemand von hinten auf die Schulter: "Frau von und zu, kommen Sie bitte mal mit!".
So stand ich vor meinem Waschbecken und las die Gebrauchsanweisung. Ich bin ja nicht doof. Man muss sich vorher informieren, gerade bei waghalsigen Experimenten mit chemischen Mittelchen. Auf der Rückseite der komisch geformten Packung stand: ein EL Pulver ins Rohr geben, eine Tasse Wasser hinterher. Achtung, das Rohr kann aufgrund der chemischen Reaktion heiss werden. Aha. EL heisst Esslöffel. Das bedeutet: ein Suppenlöffel. Denn TL bedeutet Teelöffel. Aber es ist auch egal, denn ich schüttete die Hälfte des Wundermittels in den Abfluss. Es handelte sich schliesslich um eine extreme Verstopfung! Erst passierte gar nichts. Dann stieg mir schlagartig ein wahnsinnig beissender Geruch in die Nase. "OH GOTT! Meine Nase...ich kann nicht...atmen!!" Tränen schossen mir in die Augen und mir wurde schwindelig. Oh je oh je... ich lief in die Küche, schnell, die Tasse Wasser! Man kann ja nicht einfach das Wasser laufen lassen, iiiwoooo es muss schon genau eine Tasse Wasser sein. Dass die Wassermenge für diese Mega-Ration Höllenpulver aber viel zu wenig war, war mir aufgrund meines Zustandes, den man mittlerweile als "high" betiteln konnte, total entgangen. Und dann passierte es... es qualmte und zischte... es brodelte und knallte... und mit einem Mal blubberte eine kackbraune Sosse direkt aus meinem Abfluss ins Waschbecken. Geschockt starrte ich mit sicherem Abstand von der Tür aus aufs Geschehen, natürlich mit telefonischer Verstärkung, die Freundin am Ende der Leitung schrie: "Kipp Wasser nach, kipp Wasser nach!!!" "Hab ich doch, hab ich doch!!!" "Mehr Wasser, ,mehr Wasser!!!" Ich riss den Hahn auf. Und dann ging es ab, ja es ging sogar so was von ab! Es hat wahnsinnige Geräusche gegeben, es stank wie es nur in der Hölle stinken kann und es schoss noch schlimmer als vorher aus dem Rohr.
"Mein Rohr... MEIN ROHR! Es explodiert!!! Ach du gute Güte...ES EXPLODIERT!!"
Schreiend knallte ich die Tür zu und lief ins entfernteste Zimmer, ins Ankleidezimmer. (Ja ich hab ehrlich eins!) Ich wartete... langsam näherte ich mich nach einer Weile dem Ort des Geschehens/ Grauens. Ich öffnete die Tür und POTZBLITZ, die Suppe war komplett abgelaufen und noch besser: mein erster Test verlief perfekt. Das Wasser läuft so schnell ab, so schnell kannst du gar nicht gucken! Ich bin die Grösste. Aber noch mal mach ich das wohl nicht. Da muss schon ein Klempner her. So ein sexy Viech im Blaumann... ich warte aber noch bis zum Sommer, da kommen die Kerle bestimmt oberkörperfrei. Oder so.
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