11
Jun
2010

Die Settergrens im General Hospital - Teil 1

Hochkonzentriert liege ich auf der Trage. Die Konzentration gilt dem erbärmlichen Versuch, meinen Mageninhalt bei mir zu halten. Mein Körper weiß keinen anderen Ausweg mehr, mit dem Schmerz, der sich in ihm ausbreitet wie das Öl im Ozean, fertig zu werden. Also droht er mit Kotzerei. Ich finde es auch zum Kotzen, Wonderland. Glaub mir. Meine Mutter allerdings, die findet alles ganz spannend. Mit großen Augen saugt sie die Atmosphäre und so wie ich sie kenne, sogar die ekeligen Krankenhausgerüche auf. Inspiziert alles in diesem kleinen, nach Desinfektionsmittel riechenden Raum. Ich lege meine verschränkten Arme auf meine geschlossenen Augen und bete, dass endlich jemand kommt und mich erlöst. Es muss nicht gleich der Heiland sein, aber ein Arzt oder eine nette Schwester, die mir einen intravenösen Zugang legt und mir Schmerzmittel einflösst, würde eine letzte schwache Begeisterung in mir auslösen. Ich schaue auf die viel zu große Uhr für diesen kleinen Raum und verfolge den Sekundenzeiger. Ich versetze mich in eine wegdrift-Stimmung, doch meine liebe Frau Mama unterbricht mich jäh.

“Bam-Bi! Nimm doch die Schuhe von dem Papier!” spricht sie und zieht gleichzeitig meinen rechten Fuss von der Trage. Mama. Das Papier liegt auf dieser Trage, damit die Leute, die sich vor Schmerzen krümmen, ihre Schuhe anbehalten können. Das wird nachher entsorgt und durch eine neue Auflage ersetzt. “Trotzdem. Dann zieh wenigstens die Schuhe aus.” Ja klar, ich ziehe schwuppdiwupp mal eben meine Schuhe aus, und wenn ich damit fertig bin, mache ich noch einen Flicflac aus dem Stand und einen Spagat. Ich kann vor Schmerz nicht sprechen und schenke ihr ein abschätzendes “Tsss”. Mama nimmt das als Startschuss und ehe ich noch etwas sagen kann, steht sie mit meinem rechten Schuh vor mir und freut sich. “Komm, den anderen auch noch.” Ich gebe mich geschlagen und halte ihr wie ein altes müdes Pferd beim Schmied meinen linken Fuss hin. “Du hättest dir ja wenigstens noch mal die Fussnägel lackieren können. Das machst du doch sonst immer. Also ich habe dich noch nie ohne Lack auf den Nägeln gesehen. Noch nie.”

Oh Gott, denke ich. Ich hätte das hier allein durchstehen sollen. Warum denken Mütter immer, sie wären eine Hilfe? Ab einem bestimmten Alter stimmt das nicht mehr. Natürlich, wir brauchen sie immer, egal wie alt wir sind. Besonders wenn wir als Kind hinfallen, wenn wir beim Puzzeln nicht weiter kommen, wenn wir Probleme damit haben, den Hintern wieder ausgehfertig zu säubern und wenn der bescheuerte Dennis Bohn einen mal wieder mit dem Roller angefahren hat. Aber im Erwachsenenalter, in dem Alter, wo wir all diese Dinge und noch mehr selbst regeln können, da verkomplizieren sie einfach alles. Alles. “Lass mich doch mal schauen, ob ich nicht diesen neuen Lack von Chanel noch in der Tasche habe. Den habe ich extra fürs Sommerfest eingesteckt, falls mal was passiert (kichert), du weißt schon.” Nein ich weiß nicht, aber ich lasse sie reden und schließe wieder die Augen. Ich merke, wie das Blut in meinen Ohren rauscht und weiß, dass ich gleich weinen könnte. Ich überlege kurz, die Tränen einfach fliessen zu lassen, und Mama damit nicht nur zum Schweigen, sondern auch zum Abbruch dieses seltsamen Verhaltens zu bringen, da öffnet sich die Tür.

Herein kommt ein ziemlich frischer, smarter Typ mit dunkler Surferfrisur. Nicht klassisch hübsch, aber irgendwie süss. “Sind Sie der Arzt?” fragt meine Mutter und springt von ihrem Stuhl. “Nein, ich heiße Adam und bin die Schwester.” Er lächelt mich an und meine Mutter guckt leicht irritiert. “Die Schwester? Ach, die Krankenschwester? (kichert wieder) das ist ja witzig. Gibt es dafür keinen eigenen Namen? Also für die Männer in diesem Beruf?” Adam versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass er meine geliebte Mutter gerade in eine Schublade steckt, in die sie eigentlich gar nicht hinein passt. “Na ja, wir sagen immer alle Schwester und das ist eigentlich okay.” Warum auch nicht? Wenn ein heterosexueller Mann sich tagtäglich Schwester nennen lässt, zeigt das doch eigentlich, was für ein echter Kerl er ist. In meiner Welt. In der Welt meiner Mutter hinterlässt diese Tatsache fast sichtbare Fragezeichen, die sich über ihrem Kopf ineinander verschlingen und wie Blätter im Wind herumtänzeln.

“Wir wollen uns aber mal um die Patientin kümmern. Also, ich bin Adam und ich werde jetzt mal deinen Blutdruck und Fiebermessen. Okay?” Ich nicke nur und spare es mir, mich vorzustellen. Er sieht meinen Namen ja sowieso auf dem Krankenblatt. Während er mir die Manschette umlegt und dann erst auf mein Tattoo, dann in mein Gesicht starrt, sehe ich, dass er grüne Punkte in den braunen Augen hat. Und vier lustige Muttermale direkt neben der Nase. Ich frage mich, ob Adam gelegentlich auch bei Op’s assistiert und schäme mich direkt bei dem Gedanken, dass er mich hilflos und nackt sehen könnte. Ich habe von einem Freund, der in der Charité arbeitet, mal gehört, dass Leute während Operationen oft pupsen. Gott. Du flirtest mit dem Pfleger, pardon, der Schwester herum und er denkt die ganze Zeit daran, wie du auf dem Optisch gelegen und ein paar Töne zum Besten gegeben hast. Brrr. Schnell pumpt er Luft in die Manschette und das warme Gefühl stellt sich ein. Ich spüre meinen Puls und muss kein Facharzt sein, um zu wissen, dass er viel zu langsam ist. Adam zählt konzentriert. “ 75/40, Puls 64. Hm. Das ist niedrig.” stellt Adam fest. “Das ist viel zu niedrig!” ruft Mama mit aufgeregter Stimme. “Da bleiben doch Folgeschäden, wenn sie immer so einen niedrigen Blutdruck hat. Deshalb hat sie ja jetzt dieses Desaster mit den Nieren.” Adam sieht mich an und ich lege die Stirn kraus. Ich würde auch die Augen verdrehen, halte das aber für eine Respektlosigkeit gegenüber meiner besorgten, aufgeschreckten Mutter.

Adam kritzelt die Werte in mein Krankenblatt, dreht sich zu uns und sagt: “Nun warten wir mal ab. Ich nehme jetzt noch schnell Blut ab und dann wird sich der Herr Doktor alles ganz genau ansehen. So schnell versagen keine Organe.” “Ja schnell nicht, das ist wohl wahr, aber dieses Kind, das achtet ja nicht auf sich. Das geht ja nicht zum Arzt. Meine Tochter geht dann lieber gleich ins Krankenhaus. Immer alles auf den letzten Drücker, immer ALLES auf den letzten Drücker. Miete, Rechnungen, Passbilder, Bambi weißt du noch als du in den Urlaub wolltest und dein Pass abgelaufen war? Wann hast du es bemerkt? Einen Tag vor der Abreise. EINEN Tag!” Ich müsste mich aufregen. Unter normalen Umständen würde ich mich aufregen. Doch mit diesen Schmerzen, von denen meine kleine Mutter, wie sie da steht und sich künstlich und gleichzeitig liebevoll aufregt, gar nichts weiß, bin ich nicht fähig dazu. Ich kann kaum noch atmen und sehe diese zarte, kraftvolle Person mitten in einem Behandlungszimmer stehen, wild gestikulierend wie eine wütende Italienerin und weiß, dass sie gerade versucht, ihre Angst um mich zu unterdrücken. Und ich merke, wie sehr ich sie liebe.

Bevor ich sie liebevoll und verträumt anstarre, klopft Adam mir auf meine Venen und sprüht kaltes Desinfektionsmittel auf meine Haut. Ach Scheiße, die Blutentnahme. Ich weiß, dass die meisten meiner Fans mich für ne relativ coole Alte halten, aber beim Blutabnehmen verstehe ich keinen Spass. Ich bin panisch, regelmässig einer Ohnmacht nahe und es ist kein Gerücht, dass vor nicht allzu langer Zeit der Bespaßungsmann aus der Kinderkrankenstation kommen musste, um mich von der Spritze abzulenken. Deshalb sage ich Adam lieber Bescheid. Du, ich habe Angst vor Spritzen. Also, keine richtige Angst, ich kippe nur ab und an aus den Latschen. “Oh. Gut, dass du das sagst. Willst du lieber weg schauen? Willst du, dass ich ansage was ich mache? “ Hm ja. Klare Ansagen wären gut. Wäre schön, wenn sich der ein oder andere Typ, der mir in meinem Leben so über den Weg lief, sich eine große Scheibe von dieser strikten Schwester abgeschnitten hätte, denke ich. Ich drehe meinen Kopf zur Seite und denke an was Schönes, während Adam mir erzählt was er gerade macht. Als er mich darüber informiert, dass er nun die Nadel einführt, merke ich das gleichzeitig selbst. Autsch. Ach ich hasse das.

Wir sind fertig. Adam räumt das Besteck weg, nimmt die Ampulle mit und grinst mich an. “Das haben wir doch gut gemacht. Ich nehme ehrlich gesagt nicht so oft Blut ab, aber das hat doch ganz gut geklappt!” Meine Mutter lacht. “Ach übrigens, die Schuhe musst du hier nicht ausziehen. Dafür ist das Papier ja da.” Ich zeige geschwächt auf meine Mutter, die jetzt lauter lacht und mit den Schultern zuckt. “Bis später, die Damen!” ruft Adam und verschwindet aus der Tür. Mama setzt sich neben mich und streichelt meinen Kopf. “Das hast du gut gemacht. Ich bin so froh, dass du so eine Angst vor Spritzen hast. Es gab eine Zeit, da warst du so durchgeknallt, da hatten dein Vater und ich ernsthaft Angst, du würdest früher oder später beim Heroin landen... Aber deine Panik vor Spritzen... Na ja, die hat uns wohl davor bewahrt!” Mama... Heroin kann man auch gut rauchen, flüstere ich und bekomme zur Belohnung einen Kuss auf die Stirn. “Mein armes Töchterlein...” seufzt Madame als trüge sie die Last der Welt auf ihren Schultern und fängt leise an zu singen: “When you've got worries, all the noise and the hurry seems to help, I know,...” Downtown stimme ich leise mit ein. Mama streichelt mein Haar, eine Weile schweigen wir. Bis sie die angenehme Stille unterbricht. “Hast du gesehen, der junge Mann hatte keinen Ring am Finger!” Oh Gott. Mama! Ich kann nicht glauben, dass ich sterbenskrank im Krankenhaus liege und meine Mutter sich immer noch der sich selbst gestellten Aufgabe widmet, einen potenziellen Schwiegersohn zu finden. “Ja du hast Recht, warten wir mal noch ab, wie der Arzt aussieht.”

To be continued...
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